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Für Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, hat Suchtprävention einen hohen Stellenwert.Trotz vielfältiger Maßnahmen im Rah- Mediennutzung gleichermaßen. Gezieltemen der gesundheitlichen Aufklärung ist das Thema Sucht nach wie vor mit vie- len Vorurteilen besetzt, Betroffene werden stigmatisiert bzw. das Thema wird in der Gesellschaft immer noch tabuisiert. Dasist sicherlich ein Grund mit, weshalb sich Betroffene erst um Hilfe bemühen, wenn es häufig schon zu spät ist. Das bedeutet wiederum, dass viele Alkohol-, Medika- menten- und Drogenabhängige nicht nur (schweren) gesundheitlichen Schaden neh- men, sondern oft auch einen massiven so- zialen Abstieg erleben.Sicherlich können durch suchtpräventive Maßnahmen nicht grundsätzlich alle Such- terkrankungen vermieden werden, aber wir können davon ausgehen, dass geeig- nete Maßnahmen gerade bei Kindern und Jugendlichen durchaus Erfolge zeigen. Auch für Marlene Mortler, Drogenbeauf- tragte der Bundesregierung, hat Sucht- prävention einen hohen Stellenwert. Frau Mortler hat sich daher spontan für das nachstehend abgedruckte Interview bereit erklärt. Dafür herzlichen Dank!Klinikmagazin: Frau Mortler, warum sind aus Ihrer Sicht gezielte Maßnahmen der Suchtprävention gerade bei Kindern und Jugendlichen so wichtig?Marlene Mortler: Jedes Kind lernt un- glaublich viel. Und das bereits ab dem Tag seiner Geburt. Es ist für uns eine Selbst- verständlichkeit, dass Kinder trinken, krab- beln oder laufen lernen und Gefühle und individuelle Stärken entwickeln. Wir alle kennen den Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. Deshalbist es wichtig, schon frühzeitig auch für Gefahren zu sensibilisieren, die wir nicht zwingend direkt mit dem Kindesalter in Verbindung bringen. Bereits in jungen Jah- ren können positive, aber auch negative Entwicklungen geprägt werden. Nehmen wir z. B. den Umgang mit digitalen Medi- en: Immer mehr Eltern vermitteln bereits ganz jungen Kindern den Eindruck, dass ein ständiger Gebrauch des Smartphones, des Tablet-Computers oder der Spielkon- sole völlig normal sei. Selbst die Werbung macht vor, wie man ein schreiendes Kind im Kinderwagen ruhig stellen kann, wenn man ihm ein Handy in die Hand drückt. Das finde ich bedenklich. Kinder lernen von ihren Vorbildern – in diesem Fall auch negative Verhaltensweisen. Daher ist es wichtig, auf Gefahren hinzuweisen und über Suchtgefahren frühzeitig aufzuklären. Das gilt für illegale Drogen, legale Sucht- mittel oder beispielsweise die exzessiveMaßnahmen der Suchtprävention bei Kin- dern und Jugendlichen sollten idealerweise die Eltern mit einbeziehen. Dann erzielen sie die beste Wirkung. Ich will, dass Kinder zu starken Persönlichkeiten heranwachsen, die ihre eigene Gesundheit im Blick behal- ten und Risiken richtig einschätzen lernen. Das wollen auch die Eltern.Klinikmagazin: Welche Bedeutung hat für Sie neben Information und Aufklärung über Sucht und Suchtstoffe der Ausbau von so genannten Ich­Stärken (z. B. Selbst­ ständigkeit, Selbstachtung, Konfliktfähig­ keit) im Rahmen der Suchtvorbeugung? Marlene Mortler: Ein wichtiger Baustein wirksamer Suchtprävention sind Lebens- kompetenzprogramme, die den Ausbau von Ich-Stärken und die Förderung von Selbstständigkeit, Selbstachtung und Kon- fliktfähigkeit fördern. Eine reine Informa- tionsvermittlung über Suchtstoffe oder Suchtverhalten greift zu kurz. Die Vermitt- lung und Stärkung von Lebenskompe- tenzen ist vor allem in der schulbasierten Suchtprävention weit verbreitet und sehr wirksam. Das zeigt die Expertise zur Sucht- prävention, die die Bundeszentrale für ge- sundheitliche Aufklärung Ende 2013 veröf- fentlicht hat. Sie ist auch von der Europäi- schen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in einer englischen Fassung veröffentlicht worden. Eine aktuelle Meta- Analyse zur Wirksamkeit des Lebenskom- petenzansatzes mit deutsch(sprachig)en Schülerinnen und Schülern zeigt zudem, dass durch die Teilnahme an solchen Pro- grammen das Risiko, in den Konsum von Suchtsubstanzen einzusteigen oder wei- terhin zu konsumieren, um einen Anteil von 22 bis 56 Prozent reduziert wird. Diese Ergebnisse haben mich in meinem Enga- gement bestärkt, Programme wie „Klasse 2000“ zur Suchtprävention in Schulen mit Nachdruck zu unterstützen. Es ist mir ge- lungen, alleine für das Programm „Klasse 2000“ eine halbe Million Euro zusätzlich aus dem Bundeshaushalt für die nächsten Jahren bereit zu stellen.Klinikmagazin: Welche Bedeutung ha­ ben im Rahmen von Suchtprävention Be­ zugspersonen wie z. B. Eltern, Lehrer, Ver­ antwortliche für Kinder­ und Jugendgrup­ pen, Trainer in Sportvereinen, etc., aber auch Prominente wie Sie?Marlene Mortler: Vor allem Eltern mit kleineren Kindern haben eine besonders wichtige Vorbildfunktion. Aber auch noch in der Pubertät – als dreifache Mutter weiß ich das bestens – ist eine vertrauensvolleMarlene Mortler, Drogenbeauftragte der BundesregierungBindung unerlässlich. Das haben verschie- dene Studien bestätigt. Wir werden von unseren Kindern von klein auf als Eltern, als Erzieherinnen, als Lehrer oder als Trai- ner beobachtet – und können gute oder schlechte Vorbilder sein. Das Bild eines rau- chenden Arztes in der Öffentlichkeit ist beispielsweise kein gutes Vorbild. Auch ein Jugendtrainer gibt ein schlechtes Vorbild ab, wenn er nach dem Training einen Kas- ten Bier in die Kabine stellt. Vorbildfunkti- on und Erziehung sind unweigerlich mit- einander verknüpft. Selbst bei Eltern, die beispielsweise rauchen, wirken sich klare Regelsetzungen für die Kinder suchtprä- ventiv aus. Erziehung bedeutet letztlich an- leiten, stützen, führen, lenken, heißt aber auch Emotionen zu vermitteln und mitein- ander reden zu können. Da braucht es eine gute Gesprächs-, Streit- und Versöhnungs- kultur. Auch Prominente können gute und schlechte Vorbilder sein. Ich freue mich, dass sich viele von ihnen als positive Bei- spiele engagieren, wie etwa die Botschaf- ter der Kampagne „Kinder stark machen“, Nia Künzer, Harald Schmidt und Singa Gät- gens. Sie unterstützen mit ihrem glaubhaf- ten Engagement in der Öffentlichkeit diese Mitmach-Initiative. Insgesamt sind wir alle aufgefordert, Kinder auf ein suchtfreies Le- ben vorzubereiten. Viele nehmen sich die- ses Anliegen bereits zu Herzen und setzen sich im Alltag, in der Freizeit und im Ver- ein bewusst und aktiv dafür ein. Wir ha- ben in den vergangenen Jahren schon viel erreicht. Wir können und müssen aber im- mer noch besser werden.Das Interview mit Marlene Mortler führte Friedel Harnacke, Öffentlichkeits­ beauftragter Sucht.Klinikmagazin Nr. 19 201619Foto: © BPA / Denzel


































































































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