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n SozialarbeitBesser vorzeitig in Rente gehen?Rentenbegehren und Soziale Arbeitbestimmten Problemlagen bedeuten. Auf- gabe des Behandlungsteams - speziell der Sozialen Arbeit - ist es, dies zu thematisie- ren und zu überprüfen.Die FolgenDas Verfahren einer Rentenbeantragung – ganz gleich um welche Rente es sich han- delt – hat Folgen für das Leben des Patien- ten und dessen Gesundungsprozess.Nehmen wir als Beispiel die Beantra- gung einer Erwerbsminderungsrente: Das Verfahren kann aufgrund seiner Komple- xität (Antragsstellung beim Rentenversi- cherungsträger, Anforderung der ärztli- chen Unterlagen, Gutachtenvergabe, Gut- achtenterminierung, Gutachtenerstellung, Empfehlung an die Rentenversicherung, Erstellung des Bescheides) einen Mindest- zeitraum von drei Monaten, nicht selten jedoch einem halben Jahr betragen. Der Patient befindet sich während dieser Zeit in einem „Schwebezustand“, der eine Ge- sundung oder Verbesserung des Zustands kaum möglich macht.Gerade für leistungsorientierte Men- schen bedeutet die zeitweise Berentung nicht nur eine Entlastung, sondern auch einen enormen Mangel an strukturierter Zeit. Denn Arbeit bedeutet für diese Men- schen auch Anerkennung und soziale Kon- takte. Es besteht die Gefahr, dass dies nicht adäquat ersetzt werden kann – besonders bei langjährig Beschäftigten, die plötzlich aus dem Arbeitsleben gerissen wurden und dies nicht zu einem zufriedenstellen- den Abschluss bringen konnten. Darüber hinaus befürchten viele Patienten „Tratsch“ innerhalb ihrer nächsten Umgebung und glauben, für faul gehalten zu werden.Eine langfristige und häufig unbeach- tete Folge von vorzeitiger Berentung kann Altersarmut sein, denn während des Bezu- ges einer Rente werden keine Beiträge in die Deutsche Rentenversicherung einge- zahlt. Das führt zu großen Lücken im Versi- cherungsverlauf und somit zu einem gerin- geren Anspruch auf Altersrente.Und was, wenn der Rentenantrag abge- lehnt wird? Im Jahr 2013 wurden beispiels- weise 356.482 Anträge auf Erwerbsmin- derungsrente gestellt, aber nur 176.682 Rentenzugänge wegen verminderter Er- werbsfähigkeit verzeichnet (vgl. Statistik der Deutschen Rentenversicherung 2014). Ein mögliches Widerspruchsverfahren kann sich über mehrere Monate erstrecken. Soll- te dieses erneut abgelehnt werden, ist eine Klage vor den hoffnungslos überarbeiteten Sozialgerichten nötig. Außerdem wird die Erwerbsminderungsrente in den seltenstenOb privat oder beruflich: Man hört zuneh- mend, dass die Menschen sich an ihren Ar- beitsplätzen gestresst, belastet oder sogar erschöpft fühlen. Da wird schon mal vor- schnell die Monats- oder Jahreszahl be- nannt, wie lange es denn noch dauere, bis man endlich das Rentenalter erreicht habe.Aber der Renteneintritt soll – politisch und wirtschaftlich angestrebt – immer noch weiter hinausgeschoben werden; inzwischen benennt die Politik sogar das 70. Lebensjahr.Nicht selten treten aber Patienten mit dem Wunsch nach Rentenbeantragung an unsere Klinikmitarbeiter heran. Diese kön- nen dann schnell in die Zwickmühle ge- langen, ist es doch eines ihrer Therapiezie- le, die Arbeitsfähigkeit des Erkrankten zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Hinzu kommen für den Betroffenen oft nicht ab- sehbare Folgen, die sich auf den Gesun- dungsprozess auswirkenkönnen.Um diesen Konflikt zu lösen, ist es wichtig, die Ursachen zu hinterfragen, die das Rentenbegeh-Besonders bei Arbeitnehmern mit einem hohen Leistungsanspruch – an sich und andere – können Kränkungen am Arbeits- platz eine Rolle spielen. Ursachen für Über- lastungen können aber auch wechselnde Anforderungen, erhöhte Flexibilität, häufi- ge Reisetätigkeit und diffuse Leistungsan- forderungen durch den Arbeitgeber sein. Wie vielen anderen psychisch Erkrankten fällt es den Betroffenen schwer, Konflik-te am Arbeitsplatz offen zu thematisieren oder adäquat zu lösen.Ein einfaches Beispiel hierfür ist der Um- gang eines Arbeitgebers mit einer längeren Arbeitsunfähigkeit. So äußert der eine Pa- tient im Gespräch, enttäuscht von seinem Arbeitgeber zu sein, da dieser sich seit Mo- naten nicht gemeldet habe, und fasst dies als mangelndes Interesse an einem nicht mehr leistungsfähigen Mitarbeiter auf. Der nächste Patient ist verärgert über seinenren ausgelöst haben. Mögliche Problemla- gen sollen nicht nur erkannt, sondern auch bewältigt werden. Genau hierauf ist die Krankenhaussozialarbeit in der Psychiatrie spezialisiert.Die UrsachenDie Gründe für bestehende Schwierigkei- ten sind vornehmlich in den drei Lebensbe- reichen Gesundheit, Arbeit und Finanzen zu finden.Gesundheit: Häufig bestehen langfristi- ge psychische und/oder körperliche Erkran- kungen, welche es dem Patienten unmög- lich erscheinen lassen, weiterhin beruflich tätig zu sein. Hierbei spielt ggf. auch das Alter eines Patienten eine Rolle.Arbeit: Viele Patienten mit Rentenbegeh- ren äußern im Gespräch Arbeitsplatzprob- leme, sei es mit Vorgesetzten, Arbeitskolle- gen, Kunden oder der Tätigkeit als solcher.Solchen „Konflikten“ kann durch ei- ne Festlegung von Ansprechpartnern, die Kontakt zu arbeitsunfähigen Mitarbeitern halten, entgegen gewirkt werden. Beson- ders in Zeiten sich verändernder Alters- strukturen in Betrieben haben solche klei- nen Interventionen oft große Wirkung.Finanzen: Eine Rente ist nicht nur eine Versicherungsleistung, sondern stellt in ge- wisser Weise ein erstrebtes regelmäßiges Einkommen dar. Dies kann besonders ent- lastend sein für Patienten, denen Arbeitslo- sigkeit droht, die bereits arbeitslos sind, die Vermögen bzw. Eigentum besitzen oder langfristig arbeitsunfähig sind.Als weitere soziale Anlässe sind Schulden, Verbraucherinsolvenz oder ähnliches zu nennen. Es kann aber auch die Verpflich- tung durch einen Kostenträger (Versiche- rung, Arbeitsamt) bestehen, eine Rente zu beantragen. Der Bezug von Rente kann aus Sicht des Patienten also einen Ausweg aus40Klinikmagazin Nr. 18 2015Unterschiedliche Ursachen hinterfragenArbeitgeber, der regelmäßig anruft und vermutet, dass dieser lediglich an der zeit- nahen Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit in- teressiert ist.