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n GastbeitragResilienzfaktor PaarbeziehungResilience, ein ursprünglich technischer Be- griff, bezeichnet eigentlich die Eigenschaft von Werkstoffen, nach starken Verformun- gen wieder die Ursprungsgestalt anzuneh- men. Das lässt sich am einfachsten mit ei- nem Fußball verdeutlichen, der nach einem heftigen Tritt eindellt und sich dann wieder rundet.Die psychologische Resilienzforschung beispielsweise im salutogenetischen Mo- dell nach Aaron Antonovsky fragt sich, wie es gelingen kann und welche Fakto- ren dazu beitragen, dass Menschen trotz schwieriger Lebensbedingungen und trotz mancher „Tritte“ flexibel reagieren und sich selbst nicht als Opfer fühlen, sondern sich als Herr oder Frau ihrer Lage erleben und ein geradezu unerschütterliches Ver- trauen in ihre Handlungsfähigkeit haben. Oder anders gefragt: Warum bleiben man- che Menschen in ähnlichen Lebenssituati- onen gesund und warum werden manche krank?Antonovsky beschreibt dies mit der Grundhaltung des Individuums gegenüber der Welt und dem eigenen Leben, die er Kohärenzgefühl nennt. Das Kohärenzge- fühl speist sich durch das Verstehen und Einordnenkönnen einer stressigen Lebens- situation, durch Zuversicht, Ressourcen und Handlungskompetenz und im Beson- deren daraus, im eigenen Leben Sinn zu entdecken oder zu stiften.Rosemarie Welter-Enderlin beantwor- tet die Frage, was Menschen trotz widriger Umstände befähigt, sich auch bei großen Belastungen zu biegen und nicht zu bre- chen, mit ihrem Konzept der Krisenkom- petenz. „Resilienz kann nur als Prozess ver- standen werden und keinesfalls als Eigen- schaft. Mit Wachsamkeit auf jeden Schritt achten, den Weg und den Horizont nicht aus den Augen verlieren. Und trotz Angst sich selbst vertrauen.“1Eine weitere nicht zu unterschätzende Ressource ist eine glückliche, stabile Part- nerschaft, und damit gilt auch sie als Res- ilienzfaktor. Wie lässt sich diese These be- legen, abgesehen von den eigenen Erfah- rungen, wenn diese denn positiv sind?n In einer glücklichen Partnerschaft lebt man länger. In den 48 Monaten nach ei- nem schweren Herzinfarkt starben 30 Prozent der Patienten in glücklicher und 55 Prozent der Patienten in unglückli- cher Beziehung.2n Wunden heilen rascher in einer glückli- chen Partnerschaft. Die Wundbläschen verheilen nach einer konflikthaften In- teraktion langsamer als nach einer un- terstützenden Interaktion. Bei negativen Paaren war in der Studie die Wundhei- lung um 60 Prozent reduziert. 3Die Shell-Jugendstudie und diverse klini- sche Studien belegen, dass das Bedürfnis nach Kontinuität von Liebe, Geborgen-heit und Bindung unverändert stark ist. Ei- ne glückliche und stabile Partnerschaft ist einer der wichtigsten Gesundheitsfakto- ren. Doch leider sind nicht viele Partner- schaften lange glücklich oder stabil. Die Verlaufskurve der Partnerzufriedenheit beginnt mit sehr glücklich, glücklich, eher glücklich und kann in den Bereich sehr un- glücklich sinken. Laut Angaben des statisti- schen Bundesamts lag die Scheidungsrate in Deutschland 2013 bei 36 Prozent. Eine Trennung bzw. Scheidung ist jedoch trotz der Häufigkeit und zunehmenden gesell- schaftlichen Akzeptanz nach wie vor ein schwerwiegendes, hoch stressbehafte-tes kritisches Lebensereignis. Es gab auch zu früheren Zeiten sehr unglückliche Be- ziehungen. Die damals niedrigere Schei- dungsrate hatte eher mit dem existenziel- len Risiko und der gesellschaftlichen Äch- tung besonders für Frauen zu tun, die kein eigenes Einkommen hatten.In der Zeit der Vormoderne wurde nicht aus einem Liebesgefühl heraus der Bund fürs Leben geschlossen, sondern hatte die standesgemäße Vernunftehe die Funkti- on der Fortpflanzung und war als materi- elle Absicherung bedeutsam. Die Familie stiftete die Ehe und konnte somit auch für die Folgen verantwortlich gemacht wer- den. Heute sind die Gefühle grundlegend und ihr Schwinden wird zum Anlass für die Auflösung der Beziehung. Der Sinn der Ehe ist nicht mehr aus den früheren Vorgaben zu beziehen, vielmehr wird es die Aufgabe der Beteiligten selbst, ihr Sinn zu geben.Das macht deutlich, dass Liebe kein Selbstläufer ist, sondern gepflegt werden will.Wie diese Pflege aussehen könnte, möchte ich anhand eines Filmes verdeut- lichen.In einer Szene des Episodenfilms „Paris, je t’aime“ sieht der Zuschauer einen Mann in einem typischen französischen Bistro sit- zen. Dieser Mann in den 50ern denkt über die Beziehung zu seiner Frau nach, wäh- rend er auf sie wartet.„Es waren ihre Eigenarten, die ihn an- gezogen hatten, als er sie zum ersten Mal traf. Doch jetzt gehörten sie zu einem Le- ben, das ihm fremd vorkam. Und so hatte er beschlossen, zwischen Hauptgang und Dessert, einen Schlussstrich zu ziehen. Es war ihm durchaus bewusst, wie unschick- lich die Wahl des Ortes war, an dem er sie40Klinikmagazin Nr. 19 2016Foto: © pixabay.com


































































































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