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Bernd Thränhardt schildert schonungslos seinen Weg aus der Alkoholabhängigkeit: „Wenn die Sucht da ist, hört der Spaß auf“Einer, der Alkohol als Dopingmittel ein- gesetzt hatte, ist Bernd Thränhardt, frü- her erfolgreicher Filmemacher, heute als „langjährig trockener Alkoholiker“ Berater von Institutionen und Unternehmen zum Thema „Sucht und Abhängigkeiten“ so- wie Moderator von inzwischen drei Sucht- selbsthilfegruppen in Köln.Bernd Thränhardt war auf Anfrage spon- tan bereit, sich diesem Interview zu stellen. Dafür ein herzliches Dankeschön.Klinikmagazin: Herr Thränhardt, Sie ha ben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Ausgesoffen: Mein Weg aus der Sucht“, in dem Sie schonungslos offen aus Ihrem Leben berichten. Dabei wird deutlich, dass Sie irgendwann begonnen haben, den Al kohol gezielt einzusetzen. Was wollten Sie damit erreichen? Was sollte er bewirken? Bernd Thränhardt: Zunächst habe ich Al- kohol so getrunken wie alle anderen Ju- gendlichen und jungen Erwachsenen in meiner Umgebung auch. Heute weiß ich aber, dass ich bereits als Jugendlicher – ich war ein eher schüchterner Mensch – Alko- hol ganz gezielt eingesetzt habe, um lo- ckerer zu werden und Hemmungen und Ängste zu überwinden. Das hat sehr gut funktioniert, ohne dass ich übermäßig viel trinken musste. Im Alter von etwa 30 Jahren habe ich dann begonnen, Alkohol in beruflichen Situationen gezielt einzu- setzen.Mir ist aus dieser Zeit zum Beispiel noch eine Situation genau in Erinnerung: der Weltklasse-Tennisspieler John McEnroe wollte mir ein Interview geben, zum ers- ten Mal überhaupt im deutschen Fernse- hen. Ich war so angespannt und nervös, dass ich auf einmal eine Riesenangst hatte, dieser Situation nicht gewachsen zu sein. Da habe ich schnell zwei Cognacs gekippt, und alle Anspannung und Angst war ver- flogen. Die Begegnung mit John McEnroe und das Interview waren super. Das warfür mich wohl ein (unbewusstes) Schlüssel- erlebnis, denn genau diese Wirkung des Alkohols habe ich in den folgenden Jahren immer wieder genutzt.Klinikmagazin: Wann ist Ihnen die Kont rolle verloren gegangen? Ist Ihnen das be wusst geworden?Bernd Thränhardt: Die Entgleisungen be- gannen 1991/92. Ich hatte Boris Becker ein Jahr lang für eine TV-Dokumentation rund um den Globus begleitet. Der Alkohol war immer häufiger „das Lösungsmittel“ bei Stress und Angst, aber er diente auch zur Selbstbestätigung und Selbstbelohnung. Mit viel Anstrengung ist es mir gelungen, bis 1994/95 zu funktionieren. So habe ich auch meine häufig 17-stündigen Arbeitsta- ge mehr oder weniger gut bewältigt. Allerdings ging die Kontrolle über mei- nen Alkoholkonsum immer mehr verlo- ren. Aber genau das habe ich mir natür- lich nicht eingestanden. Ich habe immer „gute Gründe“ gefunden, warum ich viel mehr getrunken hatte, als eigentlich be- absichtigt. Die Exzesse wurden immer schlimmer, und irgendwann gab es für mich sieben Gründe zu trinken: Montag, Dienstag, Mittwoch, ...So habe ich mich irgendwie die folgen- den Jahre durch mein Leben gequält, bis ich 2001 endlich kapitulieren konnte. Es ist sehr schwer, Nichtsüchtigen den seelischen Prozess der Kapitulation zu erklären. Am ehesten lässt es sich beschreiben mit „los- lassen können“. Ich habe einen Entzug und anschließend eine Therapie angetreten und daraufhin mein Leben vollkommen verändert. Aber es hat sich unglaublich ge- lohnt. Ich lebe wieder!Klinikmagazin: Welche „Botschaft“ ha ben Sie an Menschen, die versuchen, Ihre (berufliche) Leistung mit Hilfe von Alkohol zu steigern oder natürliche Grenzen außer Kraft zu setzen?Bernd Thränhardts Buch „Ausgesoffen: Mein Weg aus der Sucht“ ist erschienen bei Ullstein.Bernd Thränhardt: Der Preis ist hoch!Es gibt nichts umsonst! Die Gefahr, in die Sucht zu geraten, ist groß, und wenn man das merkt, ist es bereits zu spät, denn der Übergang ist fließend. Natürlich gab es auch schöne, gute und wichtige Phasen in der „nassen Zeit“. Aber gerade das ist trü- gerisch. Wenn die Sucht da ist, hört der Spaß auf.Man kann auf Dauer auch den besten Sportwagen nicht nur im roten Drehzahl- bereich fahren. Irgendwann fliegt dir Mo- tor oder Getriebe um die Ohren und den Zeitpunkt kennt keiner!Wirkliches Erleben ist viel schöner, wenn Du auch nüchtern euphorisch sein kannst!Das Interview mit Bernd Thränhardt führte Friedel Harnacke, Öffentlichkeitsbeauftragter SuchtHAUSSILBERSTREIFWohnheim und Ambulant Betreutes Wohnen für chronisch mehrfach beeinträchtigte AbhängigkeitskrankeHochstraße 13-15 Telefon 02902 9773-3 info@haus-silberstreif.de 59581 Warstein Telefax 02902 9773-55 www.haus-silberstreif.deKlinikmagazin Nr. 18 201519Buchcover: © Ullstein-Verlag